Erste
Abschnitt
Vom Neuen Testament im Allgemeinen
Die
Ältesten Spuren vom Dasein des ganzen Neuen Testaments, als
eine festgeschlossenen Sammlung, finden wir erst 300 Jahre nach
den Zeiten der Apostel, Dass so geraume Zeit verging, bis dieser
Körper von Schriften genau bestimmt war, hat besonderes darin
seinen Grund, dass die einzelnen Bücher desselben, die natürlich
früher, als die Sammlung existierten, anfangs teils einzeln,
teils in kleineren Sammlungen im Umlauf waren. So lange nämlich
die Apostel des Herrn noch auf Erden lebten und wandelten, auch
die Kraft des Geistes aus der Höhe in allen Gliedern der
Kirche lebendig waltete; so lange fühlte man gar nicht das
Bedürfnis, eine Schrift zu besitzen, welche man als Norm
oder Regel des Glaubens und Lebens ansehen konnte. Sobald irgend
eine Ungewissheit in der einen oder anderen Beziehung entstand,
wandte man sich an einen der Apostel und erhoffte sich von ihm
Rat. Die Briefe des Apostels Paulus verdankten ja zum Teil solche
Anfragen ihre Entstehung. Einige der Apostel lebten nun aber sehr
lange. Petrus und Paulus starben freileich schon unter dem Kaiser
Nero (67, nach Christi Geburt( den Martyrertod in Rom; allein
der Evangelist Johannes, der sie alle überlebte ward auch
über 90 Jahre alt; er starb erst unter dem Königlichen
Kaiser Domitian am Ende des ersten Jahrhunderts. Wenn man aber
auch schon bei Lebzeiten der Apostel ihre Schriften sehr hoch
hielt, so brauchte man sie doch natürlich noch nicht als
heilige Schriften, die Norm des Glaubens sein müssten, da
das lebendige Wort der Apostel und ihrer ersten Gefährten,
so wie der in der Kirche übermächtig waltende Geist
eine näher liegende Bürgerschaft für die Wahrheit
war.
In
den Versammlungen las man daher wohl die apostolischen Schriften
vor, aber teils nicht allein, teils nicht regelmässig. Das
regelmässige öffentliche Vorlesebuch blieb das Alte
Testament, das auch überall zu verstehen ist, wo im Neuen
Testamente von der heiligen Schrift die Rede ist. Ausser den apostolischen
Schriften brauchte man aber auch andere nützliche Bücher
zur Erbauung der Gemeinde. Namentlich haben wir noch einige Überbleibsel
von unmittelbaren Schülern der Apostel, welche man apostolische
Väter zu nennen pflegt, die zum Vorlesen in den alten Kirchen
dienten. Diese Männer lebten alle noch im ersten Jahrhundert
und bis ins zweite hinein. Man zählt zu denselben Clemens
Bischof von Rom, Ignatius, Bischof von Antiochien, Polykarpus,
Bischof von Smyrna, Hermas, der vielleicht Presbiter zu Rom war,
und den bekannten Barnabas. Die Briefe des Clemens und Polikarp,
so wie das Buch des Hermas, wurden besonders fleissig in den alten
Kirchen gelesen. Wegen des hohen Altertums dieser Schriften führten
dieselben die Bücher des Neuen Testaments sehr selten an,
und Manches von dem, was mit dem Inhalte des Neuen Testaments
übereinstimmt, z.b. Aussprüche Cristi, können diese
apostolische Männer eben so gut aus mündlicher Überlieferung,
als aus dem Lesen der Evangelien erhalten haben; ja das Erstere
ist fast wahrscheinlicher, da sie gewiss die Evangelien noch nicht
so fleissig lasen, als es in späterer Zeit geschah, da sie
die lebendige Rede der Apostel und ihrer nächsten Gefährten
noch hören konnten. Dass aber so wenige Schriftliche Denkmale
von den nächsten Schülern der Apostel uns geblieben
sind, kommt teils daher, weil die Zeit so entfernt ist, und viele
Schriften untergegangen sind; hat aber auch andern teils darin
seinen Grund, weil die alten Schriften mehr handelten, als schrieben.
Die Predigt des Evangeliums und die Ordnung der jungen Gemeinde
beschäftigt sie so sehr, dass sie wenig Zeit zu schriftstellerischer
Tätigkeit übrig behielten. Dazu kam, dass es in dem
ersten Jahrhunderte noch so blieb, wie es Paulus schildert ( 1.
Kor.1, 26): "nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel
Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen." Meistens schlossen
sich nur Personen geringern Standes an die Kirche Christi an,
die weder die Gabe, noch die Neigung hatten, durch Schriften zu
wirken. In Diesen Verhältnissen liegt also hinreichend begründet,
dass wir aus dem ersten Jahrhunderte wenige Kunde von den Büchern
des Neuen Testaments erhalten; dass sie aber nichts desto weniger
in der Kirche vorhanden waren, werden wir später nachweisen.
Man könnte nun noch erwarten, dass wenn gleich die ältesten
Christen von ihren heiligen Schriften nicht reden, es doch die
heidnischen Schriftsteller Griechenlands und Roms getan haben
werden, die so viele Werke über die verschiedensten Gegenstände
verfasst haben. Allein die heidnischen Schriftsteller, die mit
den Aposteln und der apostolischen Kirche zusammen lebten, erwähnen
deshalb der apostolischen Schriften gar nicht, weil sie sich überhaupt
um die ganze christliche Kirche nicht kümmerten. Sie betrachten
die Christen bloss als eine jüdische Sekte, und verachteten
sie eben so stark, als die Juden. Die boshaften Gerüche,
welche über die Christen ausgesprengt waren, glaubten sie
daher, und behandelten demzufolge die Christen als den Abschaum
der Menschheit. So ein edler Römer, namens Tacitus, der die
Verfolgung der Christen unter Nero beschrieben hat. Hiernach versteht
sich wohl von selbst, dass nicht die Griechen und Römer veranlassen
konnte, sich mit den Schriften der Christen bekannt zu machen,
die ihnen überdies deshalb missfiehlen, weil sie der schönen
Sprache entbehrten, in welche sie ihre Werke einkleideten. Erst
als die Zahl der Christen so sehr wuchs, dass dies ihnen Besorgnis
erregte, erst da fing man an, aufmerksam auf Alles zu werden,
was dieser neuen Sekte wichtig war, und so kam man denn auch auf
ihre heiligen Schriften. Doch finden wir erst nach der Mitte des
zweiten Jahrhunderts solche Beispiele, wie Celsus darstellt, un
die Christen bekämpfen zu können, sich ihrer Bücher
eingelesen hatte.
Der
ursprüngliche Zustand der jungfräulichen Kirche, in
dem man weniger auf die Schrift Nachdruck legte, als auf das Wort
der Apostel, währte nun aber freilich nicht lange. Kaum hatte
sich nämlich der mächtige Strom des Geistes, der am
ersten Pfingsfeste die Jünger des Erlösers erfüllte,
in mehrere Gemüter verteilt und seine erste Kraft verloren,
so begannen auch falsche Richtungen in der Kirche mächtig
zu werden, deren Keime schon in den Schriften der Apostel selbst
zu erkennen sind Die erste unter diesem einseitigen Richtungen
der alten Kirche ist die der Judenschriften. Schon im Briefe an
die Galater spricht Paulus deutlich von Personen, welche die Galatischen
Schriften wieder unter das Joch des Gesetzes zurück bringen
wollten. Den Glauben an Christus und seine Erlösung wollten
sie als unzureichend zur Seligkeit betrachtet wissen, wenn nicht
die Beschneidung und Gesetzesbeobachtung hinzukäme. Kräftig
kämpft aber der große Lehrer der Heiden gegen diese
beschränkte Auffassung des Christentums, und zeigt, dass
die Seele Christum verlöre, wenn sie neben ihm noch andere
Mittel, zur Seligkeit zu gelangen, brauchen wolle. Das Gesetz
Moses habe den Zweck, durch Gebote zur Erkenntnis der Sünde,
und somit zur Sehnsucht nach Erlösung zu leiten, durch seine
Weissagungen und Vorbilder auf Schriftum, sei es ein Zuchtmeister
auf denselben; die Erlösung selbst gebe nur Christus. Doch
war Paulus keineswegs der Meinung, das geborene Juden nicht auch
als Christen das Gesetz beobachten dürften, vielmehr war
er selbst dafür, wenn ihnen die fromme Sitte der Väter
lieb geworden war, oder wenn Schwache unter ihnen und unter den
Juden Anstoss an der Freiheit nehmen konnten. Die Apostel, welche
in Jerusalem blieben bis zu seiner Zerstörung, wie Matthäus
und Jakobus, beobachteten daher auch das Gesetz fortwährend,
und auch Paulus beobachtete es, wenn er in Jerusalem war. Nur
waren die Apostel, wie ihre echten Schüler, weit entfernt,
diese Beobachtung des Gesetzes auch den Heiden auflasten zu wollen.
Die mildere, echtchristliche Ansicht von der Gesetzesbeobachtung
erhielt sich auch fortwährend unter vielen Judenchristen
in Palästina, welche man später Nazaräer nannte.
Manche gerieten auf den Abweg, welchen schon die von Paulus gestraften
Personen in Galatien betreten hatten, und diese erhielten den
Namen Ebioniten. Diese verfielen aber, ausser jener Ansicht von
der Notwendigkeit der Beschneidung und der Gesetzesbeobachtung
zur Seligkeit, auch auf andere Irrlehren, namentlich von der Person
Christi. Sie leugneten nämlich die wahre Gottheit des Herrn
und hielten ihn für eine Sohn Josephs, wodurch sie sich denn
ganz von der wahren Kirche Christi lossagten.
Gerade
im Gegensatz mit dieser judaisierenden Richtung kamen Andere auf
eine ganz wegwerfende Ansicht von Judentum. Die Vorträge
des Apostel Paulus hatten sie tief ergriffen und sich lebendig
davon überzeugt, dass das Evangelium über die Form des
jüdischen Lebens weit hinausgehe und alle Völker in
sein Gebiet ziehen wolle. Allein von dieser ganz richtigen Vorstellung
aus verloren sie sich nun in eine Opposition gegen das Alte Testament,
die bei Paulus gar nicht statt gefunden hatte.
Sie
bemerkten zwar richtig, dass sich im Alten Testament mehr die
göttliche Gerechtigkeit in der Offenbarung eines strengen
Gesetzes, im Neuen Testamten mehr die göttliche Barmherzigkeit
in der Offenbarung der vergebenden Liebe ausspreche; allein diese
Erscheinung, die notwendig war zur Erziehung der Menschen, indem
die Forderung der Gerechtigkeit erst das Bedürfnis nach Erlösung
wecken musste, brauchten diese Personen, um das Alte Testament
ganz vom Neuen loszutrennen, und einen besonderen Urheber zurück
zu führen. Der Mann, welcher diese Ansicht auf die äusserste
Spitze trieb, hiess Marcion, und von ihm nennt man dieser ganze
Partei Marcioniten. Sie verbanden mit ihrer Opposition gegen das
Judentum auch gnotische Ansichten (weshalb man sie zu den Gnostikern
rechnet), und diesen zufolge trugen sie die alberne Meinung vor,
dass der Gott des Alten Testaments ein anderer sei, als der des
Neuen. Das Alte Testament sollte einen Gott mit Gerechtigkeit
ohne Liebe, das Neue Testament einen Gott der Liebe ohne Gerechtigkeit
lehren, da doch der allein wahre Gott beide Eigenschaften vollkommen
in sich vereinigt. Man sieht diesen Vorstellungen an, dass sich
in ihen Heidnisches mit Christlichem mischte. Das Erhabene des
Christentums hatten die Marcioniten erkannt, aber die andere wahre
Religionsform, das Judentum konnte sie daher die zahlloser Götter
der Heiden nicht mehr verehren, dachten sie sich doch die beiden
Eigenschaften Gottes der Gerechtigkeit und Liebe in zwei besonderen
göttlichen Wesen konzentriert. Ausser dieser Bekämpfung
des Judentum, hegten nun die Marcioniten auch noch den grossen
Irrtum, der auch einen Gegensatz bildet mit den Meinungen der
Judenchristen, welche die Gottheit Christi leugneten. Die Menschheit
Christi, sagten sie sei blosser Schein gewesen; es stellte sich
nach ihrer Ansicht eine rein himmlische Erscheinung in der Person
Christi dar, sein Leib und all sein leibliches Tun, war blosser
Schein, um sich den Menschen doch auch menschlich zu zeigen.
Diese
Vorstellung hatten die Marcioniten mit den eigentlichen Gnostikern
gemein, die zwar über das Verhältnis des Judentums zum
Christentums richtiger urteilen als jene, im übrigen aber
auch die schwersten Irrtümer vortrugen. Keime ihrer Lehren
berücksichtigt auch schon der Apostel Paulus. Z.B. 2. Tim.,
2, 17.18., wo er der Irrlehre des Hymenäus und Philetus warnt,
welche behaupteten, die Auferstehung der Toten sei bereits erfolgt.
Da sie die wahre Menschheit Christi leugneten, könnte sie
natürliche auch keine leibliche Auferstehung aller Menschen
annehmen und verstanden diesselbe daher geistig von der innere
Erweckung und Belebung der Herzen durch den Geist Christi. Der
Grund dieser verkehrten Lehre lag ohne Zweifel darin, dass sich
die Gnostiker ein zweites Wesen neben Gott dachten. Während
sie Gott als den reinen Geist, die Fülle alles Guten und
Schönen auffassten, war ihnen das andere Wesen die Materie
"Die Quelle alles körperlichen und Sichtbaren, wie auch
des Bösen. Aus einer Vermischung des Geistigen und des Materiellen
sollte nun diese Welt, und namentlich auch der Mensch, entstanden
sein, der einmal so viel Schönes und Erhabenes in sich entdeckt,
dann aber auch wieder so viel Niedriges und Gemeines. Hiernach
war denn der einzige Weg, den Menschen zu reinigen und zu heiligen,
der, dass er sich allmählich von allem Materiellen befreite
und seine göttlichen Lebenskeime zu Gott zurückgeführt
würden. Wie verdreht nun nach dieser Vorstellung alle Heilslehren
aufgefasst werden mussten, ist leicht zu erachten, da die heilige
Schrift von einer solchen Meinung, dass das Böse in der Materie,
dem rohen Stoff liegen, durchaus nichts weiss, vielmehr deutlich
dasselbe auf den Willen des Geschöpfs zurückführte,
das in sich und ums sich her, durch Ungehorsam gegen den heiligen
Willen des Schöpfers, die Harmonie zerstört hat, die
ursprünglich in der ganzen Schöpfung herrschte.
Bei
dieser Lage der Dinge nun, da Judentum, Marcioniten und Gnostiker,
anderer unbedeutender Sekten nicht zu gedenken, die Einheit der
Kirche zerrütteten, sah man sich genötigt, die Reinheit
der apostolische Lehre mit allem Nachdruck zu behaupten. Da aber
die Apostel sich nicht wandelten, als diese Parteien recht mächtig
wurden, konnte man sich auf ihr Ansehen auch nicht berufen. Wollte
man die mündliche Überlieferung gegen sich hervor heben,
so beriefen jene Irrlehre auch auf eine angebliche Mitteilung
der Apostel. Einigen Wenigen sagten besonders die Gnostiker, hätten
die Apostel nur die tiefere Weisheit mitgeteilt, die sie in ihren
Schulen lehrten; sie einfache christliche Wahrheit, meinten sie,
sei bloss für die Menge. Was blieb nun also übrig, das
die Berufung auf die mündliche Überlieferung der Apostel
nicht fruchtete, als zur schriftlichen Quelle zu gehen? Diese
konnte nicht veränderte werden und verfälscht, wie die
mündliche; sie gab mehr eine feste unveränderliche Norm
und Regel des Glaubens ab; sie machten deshalb auch gegen alle
Irrlehrer mit schärfstem Nachdruck geltend. Jetzt war aber
auch der Augenblick gekommen, da eine Einigung und Sonderung der
mancherlei christlichen Schriften, die in der Kirche verbreitet
waren, notwendig. Die verschiedenen Parteien der Irrlehrer hatten
überdies auch allerlei erdichtete Schriften in ihren Kreisen,
in denen sich unter berühmten prophetischen und apostolischen
Namen ihre besonderen Meinungen vortragen; gegen solche Schriften
musste man sich aufs Entscheidenste erklären, um die wahre
apostolische Lehre vor Vermischung mit Irr- und Wirrglauben zu
bewahren.
Da
aber natürlich einzelne Lehrer der Kirche gegen die Festgeschlossenen
Sekten der Irrlehre wenig vermocht hätten, fühlte man
das Bedürfnis, sich und inniger aneinander zu schliessen
und aus diesem Bestreben ging die sogenannte katholische, d.h.
allgemeine Kirche hervor. Die Lehre der allgemeinen Kirche sowohl,
als die Laien, verbanden sich auf das Bekenntnis einiger Hauptsätze,
welche später den Glauben oder das sogenannte apostolische
Symbolum bildeten, weil in denselben die echte apostolische Lehre
den Irrlehren entgegengesetzt war. Auf diese Weise war es möglich,
dem Strom des Verderbens einen festen Damm entgegen zu stellen,
und nach und nach wurden dann die verschiedenen Sekten durch des
Übergewicht der allgemeinen Kirche unterdrückt; doch
erhielten sich einige derselben bis ins fünfte und sechste
Jahrhundert hinein.
Was
nun aber die Sichtung der verschiedenen christlichen Schriften
anlangt, so bedarf diesselbe einer genaueren Betrachtung. Es wurde
nämlich schon bemerkt, dass man in die alten Kirchen auch
erbaulichen Schriften würdiger Kirchenlehrer, z.B. bei Clemens
von Rom, des Hermas und Andere neben der apostolischen vorlas.
So nützlich diese Schriften auch waren, so fühlten die
Bischhöfe der allgemeinen Kirche doch ganz richtig, dass
diesselbe gegen die Irrlehre von keinem Nutzen sein können,
indem jenen Schriften gar keine Bedeutung zu stand. Da sie aber
die Schriften der Apostel gemeiniglich anerkannten, so konnte
man sich in ihrer Widerlegung auch nur auf diese berufen. Alle
solche Schriften daher, welche anerkanntermassen andere Verfasser
hatten, sonderte man vorweg aus. Wäre das nicht geschehen,
so wäre für die ganze Folgezeit ungewiss geblieben,
was eigentlich als die lautere Quelle der apostolischen Lehre
anzusehen sei, und man hätte dann auch in der Reformationszeit
nicht so leicht aus der Schrift die wahre gereinigte Lehre Christi
wieder herstellen können. Als nun möglich war, da man
die echten Schriften in einer selbstgeschaffenen Sammlung bei
einander hatte. Bei der Bemühungen nun aber, die echten apostolischen
Schriften zusammenzustellen, sonderten sich einige sehr leicht
als echte apostolischen Werke heraus; diese nannte man allgemein
anerkannte Schriften (Homologomenen mit dem griechischen Ausdruck).
Zu diesen anerkannt echten Bücher rechnete man: die Evangelien
des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, die Apostelgeschichte,
die Briefe des Apostel Paulus an die Römer, Korinther, Galater,
Epheser, Philipper, Kolosser, Thessalonicher, an den Timotheus,
Titus und Philemon; endlich die 2 Briefe des Johannes und des
Petrus, nämlich nur die ersten grössern der beiden Apostel.
Unter diesen Schriften scheinen nun freilich zwei zu sein, die
nicht von Aposteln verfasst waren, d.h. nicht von Mitglieder des
ersten Kreises, den der Herr Jesus von 12 Männern um sich
schloss, denen man Paulus an Ansehen gleichstelle, teil wegen
seiner unmittelbaren Berufung durch den Herrn (Ap. Gesch. 9),
teils wegen seiner ausgebreiteten segensreichen Wirksamkeit für
die Kirche; nämlich das Evangelium des Markus und die Schrift
des Lukas (das Evangelium des Lukas bildet nämlich mit der
Apostelgeschichte nur ein Werk in zwei Hälften, wie der Anfang
der Apostelgeschichte deutlich zeigt). Allein die allgemeine Kirche
trug deshalb keine Bedenken, diese Zweitschriften von apostolischen
Gehilfen mit unter den echtapostolischen zu sehen, weil beide
Männer unter apostolischem Einfluss und unter apostolischer
Bestätigung geschrieben hatten. Nach den einstimmigen Berichten
der ältesten Kirchenlehrer schrieb Markus unter dem Einfluss
des Petrus, Lukas unter dem Einfluss des Paulus, so dass man Markus
als das Petrische, Lukas als das Paulinische Evangelium betrachtete.
Diese allgemein anerkannten Schriften der Apostel nun aber besass
man in einer doppelte Sammlung. Erstlich hatte man die vier Evangelien
in einer besonderen Sammlung welche man das Evangelium nannte.
Obgleich nämlich vier Sammlungen des Lebens des Herrn in
derselben standen, so sah man doch diese vier nicht als verschiedene
Schriften an, sondern nur als verschiedene Seiten eines und desselben
Werkes; weshalb auch ein alter Kirchenlehrer, der Bischof Iränäus
von Lyon in Frankreich, die 4 Evangelien das Eine viergestaltige
oder vierseitige Evangelium nennt. Die übrigen Schriften
bildeten eine zweite Sammlung, welche man den Apostel oder die
Predigt des Apostels nannte. Vermutlich rührt dieser Name
her, dass man bloss die Briefe des Apostels Paulus zusammengestellt
hatte; weil dieser, besonders in Europa, so viel gewirkt hatte,
nannte man ihn vorzugsweise den Apostel. An diese Sammlung Paulinischer
Briefe schloss man dann später noch die Apostelgeschichte
an, die gleichsam die Einleitung zu den Briefen bildet, indem
sie die Reisen und Arbeiten Pauli in Weinberge des Herrn beschreibt,
und später auch die zwei grossen Briefe des Johannes und
Petrus.
Ausser
dieser anerkannten Schriften gab es nun aber noch andere, welche
zwar von Vielen für apostolisch gehalten wurden. Gegen die
aber doch andere achtbare Personen Zweifel hegten, nämlich
der zweite und dritte Brief des Johannes, der zweite Brief des
Petrus, die Briefe des Jakobus und Judas, der Brief an die Hebräer
und die Offenbarung des Johannes. Diese Schriften nannte man deshalb
widersprochene Schriften, oder mit dem griechische Namen Antilegomenen.
Erst gegen das Ende des zweiten oder im Anfang des dritten Jahrhunderts
vereinigten sich die meisten Lehrer der allgemeine Kirche über
die Echtheit und den apostolischen Ursprung der genannten Schriften,
den Brief an die Hebräer und die Offenbarung ausgenommen.
Man bildete nun die dritte kleine Sammlung aus diesen Briefen,
und nahm die beiden grösseren Briefe des Johannes und Petrus,
die man anfänglich aus der zweiten Sammlung ausgeschlossen
hatte, aus derselben heraus und vereinigte sie mit dieser dritten.
Es befanden sich demnach die sieben Briefe in der dritten kleinen
Sammlung, welche man die sieben katholischen, dass sind, allgemein
anerkannte Briefe, im Gegensatz mit den mancherlei verworfenen
Schriften nannte. So blieben denn nur die beiden Schriften übrig,
der Brief an die Hebräer und die Offenbarung des Johannes.
Was jenen Brief betrifft, so zweifelte man, wie schon berührt
wurde, an seiner Echtheit gar nicht, man konnte nur nicht darüber
einig werden, ob er von Paulus geschrieben sei oder nicht. Die
Ansicht, dass er Paulinisch sei, gewann aber endlich die Überhand,
und nun stellte man ihn mit in die Sammlung der Paulinischen Briefe;
aber freilich, da die Sammlung schon ganz abgeschlossen war, ganz
zuletzt, hinter den kleinen Brief an Philomon. In der lutherischen
Bibelübersetzung erhielt aber der Brief eine andere Stelle,
nämlich zwischen dem dritten Brief des Johannes und dem Brief
des Jakobus, aus Gründen, die später ausgeführt
werden sollen. Die ganze Frage wegen des Hebräerbriefes war
also weniger bedeutend, denn wenn Paulus ihn auch nicht geschrieben
hat, so ist doch gewiss anzunehmen, dass der Verfasserunter seinem
Einfluss schrieb (wie später ausführlich dargetan werden
wird), und es verhält sich dann mit diesem Briefe eben so,
wie mit den Evangelien des Markus und Lukas.
Anders
gestaltete sich aber die Geschichte der Offenbarung, die ebenfall
später erzählt wird. Obgleich sie die ältesten
und sichersten Zeugen für sich hat, wie wenige Schriften
des Altertums, so bekamen sie doch früh wegen ihres Inhalts
viele Gegner. Manche hielten sie freilich auch nicht gerade für
unecht; sie wollten nur, der Evangelist Johannes sei nicht ihr
Verfasser, sondern ein anderer, wenig bekannter Mann, desselben
Namens. Andere waren aber gegen dieses Buch so ergrimmt, dass
sie behaupteten, die ärgsten Ketzer müssten sie verfasst
haben. Indes zum Glück erhielt auch hier die Wahrheit den
Sieg, und man erkannte den echt apostolischen Charakter dieses
erhabenen Werkes prophetischen Begeisterung an. Da nun freilich
die drei kleineren Sammlungen geschlossen waren, blieb nicht übrig,
als sie an den Schluss des Ganzen zu stellen. Gerade dahin gehörte
aber auch die Offenbarung, denn wenn die Evangelien gleichsam
die Wurzel bilden des ganzen neutestamentlichen Lebens, und die
Briefe dann, die Zweige und Blüten an denselben, so ist die
Offenbarung die volle reife Frucht des Ganzen. Sie enthält
das Bild der Entwicklung der Kirche Gottes bis ans Ende der Tage,
und steht deshalb eben so richtig am Schluss der Bibel, als das
erste Buch Mosis den Anfang derselben bilden musste.
Um
aber doch die verschiedenen Schriften und kleinen Sammlungen bestimmt
vereinigt zu haben, gab man im vierten Jahrhundert die kleinen
Abteilungen ganz auf, und hatte dann aber nur die Eine Sammlung
der neutestamentlichen Schriften. Eine gesetzliche Bestimmung
darüber machte eine Kirchensammlung, die im Jahre 393 nach
Christi Geburt zu Hippo, dem heutigen Bona, in Afrika gehalten
wurde. An sich betrachtet, ist diese Verbindung der kleinen Sammlung
zu einer grösseren von keiner Wichtigkeit, weshalb es auch
gar nichts auf sich hat, dass diesselbe erst so spät vollzogen
worden ist; denn im Laufe des dritten Jahrhunderts und im Anfange
des vierten war man über alle wesentlichen Fragen bezüglich
der neutestamentlichen Bücher ganz einig, wie die folgende
Geschichte der einzelnen Schriften näher nachgewiesen soll.
Indes hatte diese Vereinigung der Schriften der Apostel in Einen
Körper doch den Vorteil, dass man sie nun sicherer und geschlossener
zusammen hatte, und nun als vollständige zweite Hälfte
der heiligen Schrift der ersten des Alten Testaments an die Seite
stellen könnte.
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